Am 18. Januar 2021 fand unser „Europäisches Café in Brüssel“ online – und auf Französisch – statt. Unter der Überschrift „Comment rendre l’Idée d’une Europe unie plus jeune, plus inclusive, plus féminine* et plus consciente des défis globaux?“ (Auf dem Weg zu einer neuen europäischen Identität. Wie kann die Idee eines vereinten Europas jünger, integrativer, weiblicher und angesichts globaler Herausforderungen bewusster gemacht werden?“) diskutierte Aurore Uwase, Willi-Eichler-Akademie – Büro Brüssel, mit eine der jüngsten belgischen Abgeordneten, Gladys Kazadi, Membre du Parlement de la Région de Bruxelles-Capitale, Membre du Parlement de la Communauté française, Conseillère communale à Berchem-Sainte-Agathe.

Zwei Frauen in Brüssel, zwei Frauen, die mehrere Kulturen kennen, zwei außergewöhnliche Schicksale. Kazadi sagte: “Im Herzen Humanistin, habe ich von klein auf bis heute immer versucht, zur Schaffung einer besseren Gesellschaft beizutragen, in der jeder seinen Platz und seine Erfüllung finden kann.” Uwase, Bachelor in internationaler Zusammenarbeit und Praktikantin der Willi-Eichler-Akademie, fuhr fort: “Ich hoffe, dass eines Tages jeder Mensch, egal woher er kommt, die gleichen Chancen in Bezug auf die Institutionen der Welt genießen kann, wie ich sie als belgische und europäische Bürgerin hatte”. Zwei Frauen, für die Europa und globale Verantwortung keine leeren Worte sind.

Deux femmes à Bruxelles, deux femmes qui connaissent plusieurs cultures, deux destins extraordinaires. Kazadi, députée bruxelloise, dit: “Humaniste dans l’âme, depuis mon plus jeune âge jusqu’à ce jour, j’ai toujours cherché à contribuer à l’avènement d’une société meilleure dans laquelle tout un chacun trouve sa place et son épanouissement.” Uwase, bachelière en coopération internationale et stagiaire de Willi Eichler Akademie, enchaîne: “J’ai espoir qu’un jour chaque individu, d’où qu’il soit, puisse bénéficier de la même égalité des chances que celle à laquelle j’ai eu droit en tant que citoyenne belge et européenne” Deux femmes pour lesquelles l’Europe et la responsabilité globale ne sont pas des vains mots.

Kazadi hat bereits sehr jung den Weg in die Politik gefunden. Durch ihre Familie war sie für alle sozialen Fragen bereits sensibilisiert. So wählte sie auch Politologie und internationale Zusammenarbeit als ihr Studienfach. An der Universität gab es mehrere Angebote für Student*innen, um sich auch politisch zu betätigen. Sie schloss sich der Hochschulgruppe der CDH an. So kam sie dazu, sich mit den Fragen der belgischen Politik zu beschäftigen und fing an, sich in kommunalen Fragen im Rahmen verschiedener Vereine an Aktionen zu beteiligen. Dadurch fiel sie dem Bürgermeister ihrer Kommune Berchem-Sainte-Agathe (eine der Brüsseler Kommunen) auf, der sie fragte, ob sie nicht mit ihm zusammen bei den nächsten Kommunalwahlen antreten würde. Das tat sie und fand so den Sprung in die Tagespolitik. Sie fühlte sich durch diese Möglichkeit so motiviert und so voller Energie, dass sie auch bei den nächsten Nationalwahlen kandidierte und direkt gewählt wurde. Trotz einiger sehr unfreundlicher und rassistischer Anfeindungen, die ihr nicht erspart blieben, war das Echo der Menschen auf ihre Wahl doch insgesamt sehr positiv und wertschätzend. Viele Menschen sagten und sagen ihr, dass sie für sie eine Hoffnung darstellt für eine diversere Politik, die alle Belgier*innen vertritt und mitnimmt. Mit ihrer dreifachen Identität als junger Mensch, als Frau und mit ihrer diversen Herkunft ist die geborene Belgierin Ausdruck eines neuen Poliker*innenprofils.

Für sie ist die Politik eine Chance, sich auch mit anderen Profilen zu konfrontieren und die Argumente auszutauschen. Sie sieht die Notwendigkeit, nicht nur in Belgien, für eine sehr viel ausgedehntere politische Bildung, auf kommunalem, nationalem und europäischem Niveau. Sich selbst einzubringen und die Repräsentation unterschiedlicher Gruppen zu erhöhen, sei ein Weg aus der Politikverdrossenheit. Das Wissen über Politik und politische Abläufe zu verbreitern und gleichzeitig junge Menschen einzuladen, mitzumachen, hilft gegen Populismus. Auf kommunalem Niveau sieht sie klar, dass sich für Brüssel viel ändern muss damit die Lebensqualität der Menschen und ihre Gesundheit geschützt würden. Es gilt dabei auch, verstärkt auf schädliche Emissionen, Stresslevel, Verkehrschaos zu reagieren. Sie steht zur Idee „30 km/h in der Innenstadt“, kritisiert aber die verfrühte und ungeplante Implementierung.

Zu Europa sagte sie, dass das große Problem der Europäischen Union ihr Mangel an Transparenz sei. Die Menschen hätten das Gefühl, dass sie nicht verstehen und erfahren, wie Entscheidungen gefällt würden. Dies spiele Populisten in unterschiedlichen Mitgliedstaaten in die Hände. Der politische Jargon sei für den normalen Bürger oft nicht leicht zu verstehen und Debatten spielten sich oberhalb ihrer Erfahrungen und Kenntnisse ab. Dies schüre grundsätzlich das Misstrauen an Politik. Nur Bildung könne dieses Problem auf lange Sicht vermindern. Natürlich müssten auch die Medien hier mitwirken. Das gleiche gelte für die Frage des Rassismus. Der Grund für rassistische Äußerungen sei meist Misstrauen aufgrund von Nicht-Verstehen. Ein offener Dialog über die Diversität aller unserer Gesellschaften tue nicht nur in den USA, sondern auch in Belgien not.

Sie unterstützt natürlich die Black Lives Matter-Bewegung, hält aber nicht viel von Rundumschlägen der Verurteilung. Man müsse die Frage der Kolonialisierung kontextualisieren und neu bewerten, statt Statuen einfach zu zerstören setzt sie auf erklärende Beschriftungen, die zu einem Dialog innerhalb der Gesellschaft und zwischen den Generationen anregen. Stereotype können dekonstruiert werden, wenn das Wissen über den Anderen erweitert wird.

Die Pandemie lehre uns, dass wir alle zusammenspielen und uns für einander einsetzen müssen. Gerade die gefährdetsten Schichten unserer Gesellschaft und die, die bereits vor der Pandemie am Rande standen, müsse man wieder besser integrieren. Nur wenn jeder einzelne geschützt würde, sei auch die Gesamtheit zu schützen. Deshalb sei sie auch für ein bedingungsloses Grundeinkommen, welches in der CDH im Moment sehr diskutiert werde.

Kazadi wurde von den Zuhörern gefragt, warum sie ausgerechnet die CDH als ihre Partei ausgesucht habe, wo sich doch viele ihrer Punkte vielleicht eher bei den Grünen oder Sozialisten wiederfinden würden. Dazu meinte sie, nur die CDH hätte in ihrem Programm auch Wert auf Harmonie, Ausgeglichenheit und Humanismus gelegt, auf Freundlichkeit. Das sei für sie in der Politik unverzichtbar, und die anderen Ideen könne sie trotzdem verwirklichen.

Abschließend lobte Kazadi ausdrücklich die Aktivitäten und Ziele von Organisationen wie der Willi-Eichler-Akademie, deren Tätigkeit in Brüssel für eine gelebte europäische Integration und das Verständnis zwischen den Mitgliedstaaten sie sehr begrüßte.

Im Video können Sie die spannende Diskussion noch einmal verfolgen.