P“OST“skriptum
Der Blick auf unsere Geschichte. Eine Suche nach der Wahrheit.
Zeitzeug:innen im Gespräch
Hier kommen wir mit Zeitzeug:innen ins Gespräch, da die Geschichte weiterhin der Aufarbeitung bedarf. Der Blick auf Geschichte ist nie neutral. Geschrieben oft von denen, die die Hoheit über das veröffentlichte Wort haben, offenbaren sich oft überraschende und auch scheinbar unlogische Fakten, wenn man mit direkten Zeitzeug:innen spricht. Eine Suche nach der Wahrheit muss auch unbequeme Zeugnisse aushalten.
Mit diesen Menschen wollen wir über die Ereignisse von 1989 und davor ins Gespräch kommen. Sie können Zeugnis geben, was zu den Umbrüchen des letzten Jahrhunderts führte und wie sie persönlich davon betroffen waren. Wir werden versuchen, verschiedene Facetten und verschiedene Standpunkte aufzudecken und zu erkunden.
UNSERE VERANSTALTUNGEN
Europäischer Jugendaustausch. Spurensuche und Zeitzeugengespräche.
19. bis 21. Mai 2023
Berlin und Potsdam – zwei europäische Städte in der Mitte Europas an der Nahtstelle zwischen West- und Osteuropa. Spurensuche und Zeitzeugengespräche mit Karl Heinz Baum, Wolfram Tschiche und Konrad Elmer-Herzig. Mit Schülerinnen und Schülern aus Europa wollen wir auf Spurensuche gehen und fragen, wie sehen sie ihre europäische Zukunft und Europäische Verständigung aus? Organisation und Leitung: Stefan Stader.
„Es war einer der größten Momente meines Lebens!“ László Nagy.
P“OST“skriptum Zeitzeugengespräch mit Dr. László Nagy, Stiftung Paneuropäisches Picknick 1989, Sopron, Mitglied und Sekretär des Kuratoriums am 14. Dezember 2022 in Sopron/Ungarn mit Schülerinnen und Schülern der Audi Hungaria Deutsche Schule in Györ.
Der Blick auf unsere Geschichte. Eine Suche nach der Wahrheit.
Paneuropäisches Picknick am 19. August 1989 in Sopron/Ungarn: Der Tag, an dem der Mauerfall begann.
Das Paneuropäische Picknick am 19. August 1989 war eine Friedensdemonstration ungarischer Oppositioneller an der österreichisch-ungarischen Grenze nahe der Stadt Sopron (Ödenburg) in Ungarn.
Mit Zustimmung ungarischer und österreichischer Behörden sollte bei der Veranstaltung ein Grenztor symbolisch für drei Stunden geöffnet werden. Zwischen 600 und 700 DDR-Bürger nutzten dann diese kurze Öffnung des Eisernen Vorhangs zur Flucht in den Westen. Es war die größte Fluchtbewegung aus Ost-Deutschland seit dem Bau der Berliner Mauer.
Das Picknick fand am Grenztor an der alten Pressburger Landstraße zwischen Sankt Margarethen im Burgenland und Sopronkőhida (Steinambrückl) in Ungarn statt. Die Idee ging von Otto von Habsburg und der MDF-Organisation der ostungarischen Stadt Debrecen aus. Es lagen dann auch amtliche Bewilligungen vor, dass es am Nachmittag des 19. August 1989 von 15 bis 18 Uhr einen improvisierten Grenzübergang geben werde. Veranstalter waren Mitglieder des oppositionellen Ungarischen Demokratischen Forums und die Paneuropa-Union. Schirmherren waren Unions-Präsident und CSU-Europaabgeordneter Otto von Habsburg, und der ungarische Staatsminister und Reformer Imre Pozsgay. Diese sahen im geplanten Picknick eine Chance, die Reaktion Gorbatschows auf eine Grenzöffnung zu testen, und einigten sich darauf, dass unter den DDR-Bürgern Werbung für das Picknick gemacht werden sollte. Die Paneuropa-Union ließ tausende Flugzettel verteilen, mit denen zu einem Picknick nahe der Grenze bei Sopron eingeladen wurde. Viele der DDR-Bürger verstanden die Botschaft und reisten an. Mit dem initiierten Picknick wollten Habsburg und Pozsgay insbesondere prüfen, ob Moskau bei einer Öffnung des Eisernen Vorhanges den in Ungarn stationierten sowjetischen Truppen den Befehl zum Eingreifen geben würde. Damals war noch völlig unklar, ob die Sowjetunion oder einzelne Ostblockstaaten militärisch intervenieren würden, falls es zu einer ungelegenen antikommunistischen und antisowjetischen Entwicklung käme. „Wann hat je zuvor ein Picknick die Weltgeschichte verändert? Dass das möglich ist, darauf konnte auch im August vor 30 Jahren niemand mit Gewissheit setzen. Aber es gab Mutige, die es versuchten. Sie schufen eine “Sternstunde der Menschheit” ganz im Sinne Stefan Zweigs.“ Christoph von Marschall im Tagesspiegel am 19. 8.2019.
„Im Rückblick weiß man: Drei Wochen später, am 10. September 1989, öffnete Ungarn seine Grenze nach Westen ganz offiziell. Niemand musste mehr illegal über die grüne Grenze fliehen. Und keine drei Monate später, am 9. November 1989, fiel die Berliner Mauer. Ungarn hatte mit der Grenzöffnung den entscheidenden Stein herausgebrochen. Und öffnete damit gleichzeitig für sich selbst den Weg, um sich aus dem Warschauer Pakt in den Westen abzusetzen. Am Ende des Sternstundenjahrs 1989 war der Ostblock auseinandergebrochen.“
Die Fragen stellten Laura Neuberger, Nikol Neinhardt, Mezö Ábris, Milán Sipos und Luca Szabó, Schüler*innen der Audi Hungaria Deutsche Schule in Györ an Dr. László Nagy
Danke an Gabor Neugebauer (Lehrer) für die Organisation und Unterstützung!
Dank auch an die Audi Hungaria Deutsche Schule in Györ!
Hier die gestellten Fragen:
- Wie lebten Sie im sozialistischen System?
- Waren Sie politisch interessiert und aktiv?
- Was bedeutete für Sie damals der Westen?
- In welcher Funktion waren Sie an den Vorbereitungen des paneuropäischen Picknicks beteiligt?
- Wann war für Sie klar, dass die Ereignisse in Sopron historische Dimensionen hatten?
- Gibt es etwas, was Sie über das Picknick noch nie öffentlich erzählt haben?
- Was haben Sie damals über die Zukunft Ungarns gedacht?
- Wie beurteilen Sie die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in der Region? Wächst Europa hier zusammen?
- Hat sich ihr Bild von Westeuropa oder Deutschland in den letzten 30 Jahren geändert?
- Hat Ungarn seine Möglichkeiten der Freiheit gut ausgenutzt? Wo sehen Sie die größten Versäumnisse?
- Wie sehen Sie die Zukunft Europas?
Dokumentation des P“OST“skriptum Zeitzeugengespräch mit Dr. László Nagy:
Hier finden Sie eine gekürzte Version des Video-Interviews mit Dr. László Nagy:
Dr. László Nagy wurde 1957 in Szombathely in eine konservativ-religiöse bürgerliche Familie geboren. Sein Vater war Forstingenieur, seine Mutter zog ihre drei Kinder als Hausfrau groß. 1960 zog die Familie nach Sopron. Sie lebten zwischen 1970 und 1977 in Nigeria, der Vater war als technischer Leiter einer ungarisch-nigerianischen Kartierungsfirma im Einsatz. László schloss sein Studium in Deutschland ab und setzte sein Studium ab 1977 an der Technischen Universität Budapest fort. Er ist einer der Gründer des sogenannten Circle 405, in dessen Rahmen Politiker und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens (darunter viele Oppositionelle) als Dozenten an die Universität eingeladen wurden. 1982 schloss er sein Studium als Chemieingenieur ab. Danach zogen er und seine Frau zurück nach Sopron. Sie haben drei Kinder. László arbeitete in der Teppichfabrik in Sopron und erwarb auch ein Diplom als Textilingenieur. Ende der achtziger Jahre trat er der Oppositionsarbeit in Sopron bei und war einer der Organisatoren des paneuropäischen Picknicks vom 19. August 1989 in Sopron. Bis 1996 war er in der Politik aktiv und gehörte dem Vorstand des MDF an. Seit 1990 ist er Geschäftsführer oder Repräsentant ausländischer Unternehmen in Ungarn und Leiter der Kunstagentur Viva la Musica. 1999 wurde ihm das Ritterkreuz des Verdienstordens der Republik Ungarn verliehen.