Am 20. April 2021 fand unserer „Blickwechsel“ mit Dr. Eva Högl, Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Dr. Claudia Major, Leiterin der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, und Andreas Zumach, freier Journalist, Buchautor sowie Mitglied des Netzwerks Friedenskooperative, unter der Moderation von Markus Frenzel, ehem. ARD-Journalist mit Schwerpunkt Bundeswehr und Terrorismus, über Fragen europäischer Sicherheits- und Verteidigungspolitik statt.
Wie weit sind wir in der europäischen Verteidigungspolitik gekommen? Was steht noch an? Eigentlich ist ja die europäische Einigung, das Einigungsprojekt ein Friedensprojekt. Es war die Reaktion auf zwei schreckliche Weltkriege, und man wollte verhindern, dass sich die Staaten Europas weiterhin bekriegen. So vergemeinschaftete man Kohle und Stahl unter einem Dach – in der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl als Beginn. Die Idee der europäischen Verteidigungspolitik wurde 1952 in Frankreich geboren, scheiterte aber schon nach zwei Jahren, weil man in dem Punkt nicht mutig genug war. Seitdem ist die Idee immer wieder aufgetaucht, vor allem in ‚Sonntagsreden‘, zuletzt auch in einer Rede des französischen Präsidenten Macron, der die Idee wieder etwas vorangetrieben hat.
In den letzten zehn Jahren hat es gerade um Europa herum immer mehr Konflikte gegeben, die sich auch auf europäisches Terrain stark ausgewirkt haben – so durch die Flüchtlingsbewegungen, die unsere Politik beeinflusst haben. Aber selbst der längste Frieden muss verteidigt werden. Dies zeigten zuletzt auch eindringlich kriegerische Handlungen und Bürgerkriege, die sich nur wenige hundert Kilometer von der EU entfernt zugetragen haben – die Annexion der Krim, das Inferno in Syrien, der fortwährende Konflikt in Nahost. Vor diesen alarmierenden Entwicklungen scheint klar: Sicherheit für Europa ist nicht naturgegeben. Nur bleibt die Frage: Wie stark muss die EU aufrüsten? Wie weit sollte und kann die Verschmelzung der verschiedenen nationalen Streitkräfte erfolgen? Und welche Rolle sollte modernste Kriegstechnik auch für die Sicherheit Europas spielen?
„Europa ist ein Friedensprojekt. Ich finde, das müssen wir immer im Hinterkopf behalten und ganz tief in uns tragen, und bei allem, wie wir Europa gestalten, was wir in Europa auf den Weg bringen, müssen wir diese Gründungsidee „Europa bringt Frieden, Europa schafft Frieden und Europa sichert Frieden” – das dürfen wir niemals vergessen. Das ist auch für unsere Diskussion wichtig, denn wir müssen ja einordnen, wofür soll, wenn wir denn dafür oder dagegen sind, eine europäische Armee denn eigentlich da sein? Eine europäische Armee müsste diesen Auftrag ganz fest verankert haben, Frieden zu schaffen und Frieden zu sichern“, so Eva Högl.
Claudia Major betonte, dass wir „in der Europäischen Gemeinschaft, die danach zur Europäische Union wurde, in allen Bereichen zusammenarbeiten – von Kultur über Grenzen bis Geld, es wird alles abgedeckt außer Verteidigung. Seit dem Scheitern von 1954 läuft Verteidigung, wie ein verlorener Sohn oder eine Tochter, auf einer separaten Schiene – und zwar in Form der NATO. Wenn wir als politisches Gebilde, was so viel erreicht hat, ‚vollständig‘ sein wollen, müssen wir doch auch Sicherheits- und Verteidigungspolitik machen. Wir müssen in der Lage sein, dass, was wir in Europa aufgebaut haben, notfalls auch verteidigen zu können.“
„Ich teile die Position, Unabhängigkeit von den USA zu gewinnen. Ich bin schon lange für politische Emanzipation, die kann man auch in vielen Punkten beschreiben, wo die Europäische Union außenpolitisch tätig sein könnte: vermittelnd, moderierend, auch durch aktive strukturelle wirtschaftliche Hilfen stabilisierend, dadurch bedarf es aber nicht zwangsläufig des militärischen Instruments. Ich halte es für einen Fehlschluss zu glauben, dass wir, um Global Player zu sein, das militärische Instrument brauchen – und letztlich würde ich mal ganz konkret von den Befürwortern wissen, wo denn eine solche gemeinsame EU-Armee eingesetzt wird?
Für mich ist die größte Herausforderung für die EU in den nächsten 30 Jahren die südliche und östliche Gegenküste des Mittelmeers, die Region von Marokko bis Pakistan, die ja tatsächlich die Region mit den allermeisten gescheiterten Staaten, mit den allermeisten islamistischen Terrorismus-Organisationen, mit den allermeisten Flüchtlingen ist, die zu uns kommen. Klar, das ist eine eminent politische und wirtschaftliche Herausforderung. Das Interesse muss sein, die Region so zu stabilisieren, dass sie eines Tages nicht nur gescheiterte Staaten hat, was wir aber nicht mit militärischen Mitteln erreichen werden, sondern im Gegenteil – wir verlängern dann noch den problematischen Status quo, als an die Ursachen heranzugehen“, so Andreas Zumach.
Major entgegnete: „Wir sollten uns eine positive Definition von europäischer Souveränität zulegen. Was wollen wir eigentlich? Nicht nur die Abgrenzung von etwas, sondern es muss in unserem ureigensten Interesse sein, zu wissen, was wir wollen, und in der Lage sein, dass, was wir politisch aufgebaut haben in Europa, die innere Kooperation, die es weltweit nicht gibt, mit den verschiedenen Mitteln, die wir in unserer Toolbox haben und die wir anders gewichten als zum Beispiel Russland, gegebenenfalls auch zu schützen. Wenn andere Staaten oder nicht-staatliche Akteure sich des Militärs bedienen und unsere Lebensform und unser Territorium in Europa in Frage stellen – wie können wir darauf reagieren? Dieser Frage müssen sich Deutschland und Europa stellen.“
„Die Herausforderungen und Bedrohungen in der Nachbarschaft der EU lassen sich nur mit zivilen Instrumenten überwinden. Die Militarisierung der EU-Außenpolitik ist eine kostspielige Sackgasse“, widersprach Zumach. Und Högl fasste zusammen: „Wir brauchen in der Europäischen Union eine enge und gute Zusammenarbeit in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Denn Sicherheit in Deutschland kann es nur mit und durch Europa geben.“
Danke für den spannenden und diskutierfreudigen Abend zur Sicherheit Europas!